Kaum eine Nachrichtensendung verging in der letzten Woche, die sich nicht mit dem Thema Facebook beschäftigte. Cambridge Analytica, der US-Ableger eines britischen Firmenkonsortiums, war in das Visier der Öffentlichkeit geraten. Ihr Credo: „Data drives all we do“ (Daten treiben alles an, was wir tun). Ihr Ziel: Mit politischem Profiling die öffentliche Meinung beeinflussen. Aber geht das wirklich und wenn ja, welche Folgen ergeben sich daraus?
Wie kam es zu der Aufregung?
Der Psychologe Aleksandr Kogan hatte gemeinsam mit Kollegen an der Universität Cambridge die App „thisisyourdigitallife“ entwickelt, die Persönlichkeitstests mit amerikanischen Facebook-Nutzern durchführte.
Was die Nutzer nicht wussten: Diese App sammelte auch Daten von Freunden (war damals legal gemäß den Richtlinien von Facebook!). Es ging ja um das eigene Persönlichkeitsprofil und dazu gehören auch die Freunde. Sehr schnell war so ein Volumen von 50 Mio. Datensätzen entstanden. Was keiner der Nutzer ahnte war, dass dieses Profiling nicht nur für persönliche und dann wissenschaftliche Zwecke erstellt wurde. Die Daten wurden weiterverkauft an Cambridge Analytica, die sie für politisches Profiling nutzte. Dieser Weiterverkauf ist gemäß den Facebook-Richtlinien verboten.
Als der Vorgang jetzt bekannt wurde, war die Aufregung groß und die Schuldigen schnell gefunden. Facebook nimmt es mit dem Datenschutz nicht so genau, sie sammeln nur die Daten, um sie dann zu verkaufen für Werbung und „Fake News“, sie schaffen Filterblasen usw. usw. Aber ist es wirklich so einfach und der Schuldige schnell gefunden?
Ein paar Beobachtungen und Fragen
Bereits im November 2016 hatten Hannes Grassegger und Mikael Krogerus mit dem Artikel: „Ich habe nur gezeigt, dass es die Bombe gibt“ auf Cambridge Analytica und ihr politisches Profiling aufmerksam gemacht. Alles das, was jetzt diskutiert wird, war bereits damals Gesprächsstoff: Das Sammeln und Auswerten von Nutzerprofilen auf Facebook, ergänzt um weitere (öffentlich zugängliche) Daten, das Bilden von Profilen als Basis für maßgeschneiderte politische Werbung mit dem Ziel einer gezielten Beeinflussung von Bevölkerungsgruppen. Damals wie heute wird abgestritten, dass so ein Vorgehen überhaupt die Chance eines Erfolges gehabt hätte. Ist das wirklich so ausgeschlossen??
Aber warum wird das Thema im März 2018 erneut diskutiert? Dass man jetzt weiß, wie Cambridge Analytica an die Daten kam (über die App) ist doch als Grund zu wenig. Alle anderen Informationen gab es doch 2016 bereits.
Für mich passt die Diskussion in ein Gesamtbild, das Facebook als die böse, große Datenkrake darstellt.
Erstens: Immer wieder mal werden Statistiken herangezogen die belegen sollen, dass Facebook seinen Zenit erreicht hat. „Scharenweise“ würden jetzt User abwandern zu anderen Netzen. Genannt werden Snapchat, Instagram, WhatsApp und andere Messengerdienste. Die Botschaft: Facebook ist ein Auslaufmodell. Aber sind die anderen besser?
Zweitens: Die Diskussionen zu „Fake News“, Filterblasen und Echokammern auf Facebook haben der Firma den Ruf eingebracht, sie würden erheblich dazu beitragen, dass die veröffentlichte Meinung manipuliert wird. Facebook, das waren auf einmal nicht mehr „die Guten“, die mit ihrem Netzwerk Menschen zusammenbringen. Mit seiner Challenge 2018 wollte Mark Zuckerberg ein Signal setzen. Er will Facebook wieder zu einem guten „menschenfreundlichen“ Netzwerk machen, das Freunde verbindet.
Dazu wurde der Newsfeed in den letzten Wochen und Monaten massiv umgebaut. Nicht mehr die Botschaften und Beiträge von Seitenbeitreibern stehen jetzt vorn, sondern das eigene Freunde-Netzwerk bekommt eine höhere Priorität.
Nun ist aber gerade deswegen mancher User auf Facebook, weil er oder sie hier diese Bündelung von Informationen aus verschiedenen Quellen bekommt: Nachrichten von Freunden, Tagespolitik, Interessensgebieten. Das soll jetzt beschnitten werden? Verunsicherung entstand bei Medienunternehmen und auch bei Otto-Normaluser.
Der Mehrwert der Veränderungen ist noch nicht wirklich erkennbar. Die Botschaft: Facebook manipuliert die Informationen, die jeder in seinem Newsfeed sieht. Das soll sich ändern. Nur was kommt dann?
Drittens: In diese – sagen wir mal leichte – Verunsicherung kam dann die Nachricht von einem neuen sozialen Netzwerk: „VERO“. Es sollte alle die „negativen“ Eigenschaften von Facebook, dem Datenkraken, nicht haben. Sofort stürzten sich die Early Adopter auf dieses Netzwerk. VERO war aber schon drei Jahre am Markt, nur kannte es keiner. Aber so schnell, wie der Hype entstand, verschwand es auch wieder. VERO hatte technische Probleme und entpuppte sich als künstlich gehyptes Netzwerk, das unterm Strich auch nicht besser oder anders ist, als die bekannten Netzwerke. Inzwischen ist VERO auch auf dem Friedhof der sozialen Netzwerke angekommen.
Ich will hier keine Lanze für Facebook brechen. Dafür hat dieses Netzwerk zu viele Schattenseiten und eine gesunde Skepsis ist angebracht. Aber es ist mittlerweile ein Infrastrukturpart des Internets. Genauso wie Google, Amazon, Alibaba und Tencent.
Es ist fast wie eine Hassliebe: Ohne Soziale Netzwerke geht es nicht, weil man sie doch irgendwie braucht, um mit Freunden in Kontakt zu bleiben und um seine Informationen gebündelt zu finden. Und sie unterstützen die eigene Bequemlichkeit z.B. beim Einkaufen, Entertainment usw. Aber die Manipulationsmöglichkeiten seitens der Netzwerke verschrecken. Facebook als Marktbeherrscher ist hier nur das Aushängeschild. Machen tun es alle anderen auch.
Welche Learnings ergeben sich aus diesen Erkenntnissen für den einzelnen User?
Erstens: Soziale Netzwerke sind ein Teil der Infrastruktur des Internets. Sie bieten eine Fülle an Kontakten und Informationen – aber sie manipulieren auch. Denn letztlich steuert jeder User mit seinem Surfverhalten die Relevanz von Beiträgen, bzw. dem, was ihm angezeigt wird. Die sogenannten Filterblasen und Echokammern sind Teil dieser Netzwerke. Dies muss ich wissen, denn nur so kann ich auch bewusst aus ihnen ausbrechen und mir Neues erschließen.
Zweitens: Soziale Netzwerke haben nur den einen Zweck, Freunde zu verbinden und virtuelle „Freundschaften“ zu entwickeln und zu pflegen. Deshalb ist es gut, in mehreren Netzwerken unterwegs zu sein. Natürlich nicht um den Stressfaktor zu erhöhen, sondern um deutlich zu machen: Wichtig sind mir die Menschen mit denen ich (virtuell) verbunden bin. Das Netz ist nur Mittel zum Zweck und kann sich jederzeit ändern. Und es ergänzt meine Offline-Welt.
Drittens: Fast das Wichtigste ist: Ich muss mein „virtuelles Ich“ pflegen. Das heißt, jeder Post, jeder Like, jeder Beitrag, jedes Foto oder Video muss vor dem Livegang geprüft werden: Passt das zu mir als Person und stehe ich dahinter. Will ich dieses Bild jetzt vermitteln? Bereits bei der kleinsten Unsicherheit sollte der Post ein paar Stunden liegen bleiben. Und für Altes gilt: Es gibt auch die Löschen-Taste.
Viertens: Nichts ist so beständig, wie die Veränderung. Regelmäßiges Prüfen der Sicherheits- und Privacy-Einstellungen ist unerlässlich: Passt das noch so zu mir, wie ich es letztes Jahr eingestellt habe. Sind die Freunde in diesem Netzwerk wirklich noch meine. Gefallen mir die Seiten noch immer oder sollte ich mich von einigen trennen.
Fünftens: Der Titel des Beitrages ist bewusst so gewählt: Auch Facebook ist nichts Bleibendes, sondern eine Plattform, die Dienste bereitstellt. Sie helfen mir, bieten einen Mehrwert und sind nützlich, um mich mit Freunden und Bekannten zu vernetzen. Dies kann sich aber jederzeit ändern.
Das sind für mich einige der Learnings aus dieser Geschichte.
Was das für Anbieter aus Kirche und Diakonie bedeutet, ist noch mal ein eigenes Thema.