In der 30. Nonprofit-Blogparade fragen die Kollegen von Caritas digital: „Nonprofits im Social Web: Wen erreichen wir noch und zu welchem Preis?“. Sie hinterfragen, ob man das reichste Netzwerk der Welt – gemeint ist Facebook – auch noch als NGO bezahlen muss, damit es noch reicher wird. Aber können sich NGOs dem immer stärker werdenden Zug des Online-Marketings, der Kommerzialisierung noch entziehen oder müssen sie mit den Wölfen heulen, um überhaupt noch gehört zu werden im Social Web?
Der erste Gedanke und die wahrscheinlich naheliegendste Antwort ist: Nein, müssen sie nicht. Niemand zwingt einen dazu, jetzt die Media-Budgets umzuschichten und alles in Werbung auf Facebook, Twitter, Youtube usw. zu investieren. Besser ist es doch, jeden Euro den Menschen zu kommen zu lassen und so wenig wie möglich in Werbung zu investieren, wie es eine Userin auf der Diakonie-Facebookseite. Dort ging es um den Aufruf zur Beteiligung am Sozialpreis innovatio (Beitrag vom 9.4.2017). Sie schreibt:
„Könnte das Geld nicht für die Obdachlosen, die Armen und für die Kinder verwendet werden?“
Beim zweiten Gedanken wird aber schnell deutlich: Ohne Werbung, ohne Marketing für die gute Sache läuft nichts. Getreu dem Satz: „Tue Gutes und rede darüber“ müssen auch NGOs für ihre Sache nicht nur informieren, berichten, sondern eben auch werben. In der Offline-Welt ist das völlig normal und gehört zum Alltagsgeschäft: Werben für die gute Sache. Am besten kostenfrei, aber es werden auch schon mal Media-Budgets eingesetzt
In der Online-Welt ist das meist noch etwas Exotisches. “Es muss doch auch so funktionieren”, hört man da, “wir haben doch unsere Community”, kann sie uns nicht im Web unterstützen und mitmachen? Wenn Werbung, dann allenfalls Google Grants, das spezielle Angebot von Google für NGOs: 10.000 US-$ Media-Budget pro Monat. Außer Arbeit kostet es ja nichts …
Im Social Web gibt es nichts Vergleichbares. Da ist der Wunsch nach einem „Grants-Programm“ von Facebook nur allzu verständlich. Facebook aber geht in der Unterstützung von NGOs einen anderen Weg: Sie bieten Tools, Beratung und Hilfestellung an. Aber Werbung geht nur gegen Cash (Nonprofits on Facebook). Bei anderen Social Webs gibt es noch weniger.
Von daher ist die Eingangsfrage eher ein Hilferuf: Reicht „gut sein“ nicht aus? Es gibt doch Unterstützer und Förderer, unsere Community. Sie wissen doch um die Arbeit und sind dabei. Reicht es denn nicht aus, einfach „die Guten“ zu versammeln und so zu informieren, im Social Web? „Die Guten“ kennen sich doch und vernetzen sich . Dadurch entsteht doch auch eine geballte Netzmacht. Warum dann noch in Marketing investieren? Besser das Geld anders einsetzen. Oder??
Gut sein reicht nicht. Es braucht mehr.
Es reicht nach meiner Auffassung eben nicht aus. Denn mit diesem Denkansatz bleibt eine NGO in der eigenen Filterblase. Irgendwann sind die Unterstützer und Förderer eingesammelt und haben sich alle vernetzt. Neue Leute kommen kaum noch dazu. Das Potential ist ausgeschöpft. Zwar lässt der Blick auf Mitarbeitende und ehrenamtlich Engagierte noch höhere Zahlen erwarten. Es sind aber nicht alle von Ihnen im Netz unterwegs und auch nicht jeder will sich unbedingt verbinden.
Zum zweiten finden Diskussionen zu den Themen einer NGO nicht immer im Kontext der NGO statt. Ein Beispiel: Wenn es um Pflege geht, Familienthemen, Soziales eben, diskutieren Betroffene, Angehörigen und Mitarbeitende in jeweils eigenen Gruppen im Netz. Oft wissen sie nicht voneinander, so dass es mehrere Gruppen zum gleichen Thema gibt. Das Netz schafft sich seine eigene Diskussionsplattformen, vorbei an allen etablierten Organisationen und deren Knowhow.
Hinzu kommt, dass es – aus User-Sicht – die Trennung zwischen kommerzieller Welt und einer Engagement-Welt für Soziales, Umwelt, Natur nicht gibt. User können zwar sehr gut unterscheiden, was woher kommt und halten es auch transparent. Aber sie wollen beides in einer „Welt“ haben. Damit gelten dann auch die Regeln der einen „Welt“ für beide. Einen „Non-Profit-Bonus“ gibt es im Netz immer weniger.
Das „Ich“ hat Vorfahrt
Ein weiterer Punkt ist die zunehmende Individualisierung im Web. Kommerzielle Anbieter orientieren sich mit ihren Angeboten am Suchverhalten des einzelnen Users und richten sie individuell aus. Informationsanbieter stellen Themen und Inhalte dynamisch auf den Websites zusammen je nachdem, mit welchen Stichworten und Anliegen User auf die Seite gekommen sind. Stichwort: Nutzerorientierung, aus der Sicht des Nutzers die eigenen Angebote betrachten.
Das wird dann noch befördert durch den Algorithmus des jeweiligen Social Web. Er wertet Interessen, Themen, Kontakte usw. aus und stellt die entsprechenden Beiträge dann präferiert da.
Organischer Content ist die Basis, aber …
Ohne Frage: organischer Content ist der Königsweg. Beiträge die so gut sind, dass sie sich von allein viral verbreiten hätte jeder gern. Aber dies zu erreichen ist harte Arbeit und gelingt leider selten. Trotzdem ist guter organischer Content wichtig, denn er stellt die Basis dar für die Diskussionen, die eigene Präsenz im Web. Aber er muss sich orientieren an den Erwartungen und Wünschen der Community. Da gehört dann schon viel Geschick und Professionalität dazu, die eigenen Anliegen so zu „verpacken“, dass sie nicht zwangsläufig absenderorientiert daher kommen, sondern bereitwillig und interessiert aufgenommen werden.
Aber anderseits gilt auch: Wer in diesem Wettstreit aller Anbieter allein auf organischen Content setzt, hat schnell verloren. Facebook beispielsweise spricht von einer „normalen“ Reichweite von unter 20%. Wer da raus will, braucht gute Argumente und Strategien. „Cat-Content“ allein zieht da nicht.
Ohne Werbung und Marketing verschwindet man schnell im großen Strom der unentdeckten Beiträge. Deshalb sehe ich zu einem maßvollen und verantwortlichen Marketing keine Alternative.
Wenn man in der Sichtbarkeit der eigenen Community bleiben will (neben allen anderen Nachrichten die die einzelnen „Ichs“ in der Community interessieren) hat man keine Wahl, als immer wieder auf unterschiedlichen Wegen auf sich aufmerksam zu machen.
Und auch wenn es darum geht, aus der eigenen Filterblase heraus zu kommen und mit Content bzw. Service zu punkten, ist Marketing im Social Web ein Weg, der helfen kann. Allerdings funktioniert der Weg nur, wenn der Content relevant ist, unterhaltsam, nützlich und wissenswert gestaltet ist und nicht zuletzt für die Nutzer interessant ist.
Wie kann man der eigenen Filterblase entfliehen?
Hier ein paar Tipps und Anregungen.
1) Beobachten und von anderen Lernen
Jedes Social Web ist anders, hat eigene Regeln und Vorgehensweisen. Oft unterscheiden sie sich auch in den Zielgruppen. Also heißt es: genau zuhören, hinsehen und lernen, wie machen es andere (NGOs). Was sind erfolgreiche Beiträge und warum. Wie funktionieren sie.
2) gute Beiträge schreiben, die die User interessieren
Klar ist man von den Anliegen und Botschaften der eigenen Organisation überzeugt, gerade als NGO. Deshalb will man sie ja in die Öffentlichkeit bringen. Aber dieser Weg funktioniert nicht, weil er absenderorientiert ist. Nur das selbstkritische, von der eigenen Position abstrahierte einnehmen einer Userposition verhilft zu guten Geschichten. Nur über diesen „Umweg“ kann ich meine Anliegen transportieren. Frontal geht es gegen die Wand.
3) Marketing kann Gutes besser machen
Eine absenderorientierte Geschichte wird durch Marketing nicht besser. Das ist verbranntes Geld. Die erste Frage sollte immer sein: Würde ich diesen Beitrag liken, kommentieren oder auch in meiner Timeline posten? Weckt er mein Interesse? Wenn man die Fragen auch ohne die Brille der eigenen Organisation mit „JA“ beantwortet, dann ist er richtig.
4) Ziele, Zielgruppen definieren
Wenn will ich erreichen, wohin möchte ich meine Community entwickeln? Soll sie die Projekte unterstützen, politisches Lobbying machen, mehr spenden? Wenn die Ziele klar sind, finde ich auch schnelle die Zielgruppe, die ich ansprechen kann. Hier unterstützen die Social Webs einen sehr gut.
5) überprüfen, ob es klappt
Es ist ein fortwährender Kreislauf: gute Beiträge erstellen, bekanntmachen und prüfen, ob es gelingt. Wenn es an einer Stelle hakt, dann schnell korrigieren, umsteuern, verändern. Das gehört unbedingt mit dazu. Oder mit den Fachbegriffen: Ein gutes Monitoring und Controlling der eigenen Seiten und von Mitbewerbern am Markt ist unabdingbar.
tl;dr: Fazit
Auf die eingangs gestellte Frage: Reicht „gut sein“ heute noch aus, muss man klar sagen: Nein. Die Spielfelder und Regeln sind andere geworden und auch NGOs müssen sich im Klaren darüber werden, dass Botschaften und Anliegen nur dann wirklich bekannt werden, wenn die Möglichkeiten des Marktes verantwortlich und bestmöglich genutzt werden.
Das ist in meinen Augen keine Kapitulation vor dem Markt, sondern es ist die Antwort auf die Frage: Wie kann ich meine Ziele am besten erreichen und meine Anliegen so breit und bestmöglich platzieren, dass sie zu den gewünschten Veränderungen führen.